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Idylle in Gefahr!

Sibylle Summerers künstlerischer Blick auf die menschliche Wirklichkeit

Kunst kann die Wirklichkeit zeigen, sie kann sie verbergen oder auch schönzeichnen.

 

Hier, im Falle der Bilder von Sibylle Summerer, scheint sie uns auf den ersten Blick anziehend und Vertrauen einflößend: Figuren, meisterlich dargestellt, in farblich harmonischen Tönen. Dann aber der zweite Blick: Was hält dieses Baby vor rosafarbigem Hintergrund in der Hand? Ein Handy mit einem virtuellen Teddybären... und dann dieser beklemmende Gesichtsausdruck!

Das Ergebnis: Was uns zunächst angenehm erschien, ist auf einmal bizarr, ja verstörend, und rüttelt an unseren Sehnsüchten nach Harmonie und Sicherheit.

Das ist es, was uns an den Werken von Summerer anzieht und zum Nachdenken bringt.

Die Künstlerin beobachtet Menschen, nimmt ihre Ambivalenzen wahr. Das Schöne, Interessante oder Sympathische sind Durchgangsstadien in ihrer Wahrnehmung, die oft die individuellen Bruchstellen zum Hässlichen oder Schlechten mit aufdecken.

Da sind vor allem ihre Kinderbilder: diese Kinder sind einerseits allerliebst, wenn man nur ihre unschuldigen Gesichter und die niedliche Kleidung betrachtet, gleichzeitig aber künden sie von einer zukünftigen Gesellschaft, in der das Individuum vereinsamt, und seine emotionalen Bedürfnisse durch Äußerlichkeiten und technologische Vernetzung abgespeist werden.

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Die verformten, bis zur Karikatur verzerrten Körper der sogenannten „Trixies“, denen wir in den Zeichnungen aber auch in größerem Format in einigen Gemälden begegnen, führen uns eine Ikonographie der menschlichen Unzulänglichkeiten vor Augen. Es sind die Laster und Launen der zeitgenössischen urbanen Gesellschaft, die in Gestalt der „Trixies“ an uns vorbei defilieren.

Aber all diese Bilder wären nur karikierende Illustration von moralisierenden Gesellschaftsvisionen, wäre da nicht die überzeugende Qualität ihrer künstlerischen Ausführung, deren stilistische Mittel vielfältig sind.
Einerseits kann sie durch ihre altmeisterliche Perfektion, die von Traditionskenntnis und handwerklichem Können zeugt, beeindrucken, andererseits überrascht sie durch formale Brüche, die unsere Sehgewohnheiten herausfordern: In der Zeichnung entstellte Physiognomien, deformierte Körper; nuancierte Farbigkeit, eher Pastelltöne, die zuweilen wenig ermutigend oder gar kränklich anmuten.
 

​Auf der assoziativen Suche nach einer kunsthistorischen Verortung von Sibylle Summerers Arbeiten stößt man auf die Malerei der Renaissance mit ihrer Art der Aneignung von Wirklichkeit.
Auch die veristischen Porträts eines Otto Dix, Georg Grosz‘ Gesellschaftskritik oder die ostdeutschen Maler wie Tübke, Stelzmann, Triegel und die sogenannte Neue Leipziger Schule mit Neo Rauch kommen einem in den Sinn.
Letztere lassen sich unter dem gemeinsamen Nenner der neuen Figürlichkeit zusammenfassen, die in der zeitgenössischen Kunst mit ihrer Tendenz zur Abstraktion und zum Konzeptuellen, ihren Installationen und dem Gebrauch der neuen Medien nicht selbstverständlich ist.
 

Sibylle Summerer archiviert, was ihr an menschlichen Besonderheiten oder Normabweichungen begegnet.
Der Mensch in seiner Zerrissenheit ist der Rohstoff, aus dem sie ihre unterschiedlichen Werke erschafft.
 

​Und uns, die Betrachter, kann diese Kunst nicht gleichgültig lassen.

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Dr. Gabriele Padberg

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